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Evita in der Hamburgischen Staatsoper: Wer hat mein Musical so zerstört?

Andrew Lloyd Webber hat schon oft überrascht. Z.B. mit dem Musical „Jesus Christ Superstar“, in dem er ausgerechnet die allgemeine Unperson Judas zum Erzähler und zur moralischsten Figur der ganzen Story macht. Bei Evita wurde später ein bisschen im eigenen geistigen Eigentum gewildert, und mit Che Guevara zumindest wieder ein umstrittenen Außenseiter als (heimlicher) Protagonist gewählt. Heute hat Herr Lloyd Webber mich sehr negativ damit überrascht, dass er die Evita-Fassung, die heute in der Hamburgischen Staatsoper als Vorpremiere gegeben wurde, tatsächlich und höchstpersönlich autorisiert hat.

Ich habe Evita in den 90er Jahren gefühlte 189 mal gesehen und habe jede Zeile auswendig (und richtig ;-)) singen können. Ich habe mehrere Evitas gesehen, von denen mich keine besonders beeindrucken konnte, und immer nur einen Che Guevara – den Amerikaner James Spano – der alle Unzulänglichkeiten vergessen ließ. Der Webbersche Che ist ein Komödiant, ein ironischer Kommentator. Wunderbar! Aber da muss jede Bemerkung sitzen, das kann man nicht runterleiern, als würde man sich bei „Deutschland sucht den Superstar“ mit ein bisschen guter Stimme in die nächste Show retten wollen.

Mike Powell (falls es Mike Powell war, der heute spielte) war leider kein clownesker Che, sondern wirkte eher wie ein mittelmäßiger Pop-Barde, der überraschend zu dieser Rolle gekommen ist, und noch keine Zeit hatte, sich mit ihr wirklich vertraut zu machen. Gilt eigentlich auch für alle anderen. Gerade am Anfang drängt sich der Gedanke an eine konzertante Aufführung auf, bei der alle Mitwirkenden leider viel zu spät eingekauft wurden.

Abigail Jaye (falls es Abigail Jaye war, die heute auftrat – die Programmheftverkäuferinnen waren nicht informiert, ob heute die Hauptbesetzung dran war, und acht Euro nur für diese Info im Programmheft habe ich mir erspart) war eine sehr schrille Evita, die leider extreme Probleme hatte, auch mal leise Töne anzuschlagen. „She had her moments“ – durchaus. Gerade wenn das schrille, billige gefragt war. Beispielsweise, wenn sie die junge Geliebte Perons in die Wüste schickt. Das hat gepasst. Aber Evita muss auch säuseln können – genau von diesen Kontrasten lebt das Musical.

Aber heute hat wenig gelebt. Alles war wie weichgespült. Monumentals Säulen dominieren das Bühnenbild, das trotzdem extrem flach und zweidimensional bleibt. So wie der Rest auch. Die früher so eindrucksvolle Szene gleich zu Beginn, wenn das Kinoprogramm unterbrochen wird, und ein Sprecher den Tod Eva Perons bekannt gibt, klingt nun wie das Verlesen des Wetterberichts.

„While it is high on physical energy, it is the emotional intensity which is lacking which distances the audience from the action on stage“ – die englische Kritik nach der Premiere im britischen Birmingham bringt es auf den Punkt: Bessere und perfektere Tanzszenen (mir zu sehr in Richtung „normaler Musicals wie etwa „42nd street“), aber wenig Emotionen. Aber mal ehrlich, ein Choreograph, der sich damit rühmt, zuvor bewusst keine andere Fassung des Werkes gesehen zu haben, muss entweder ein Genie sein oder einfach nur ein überheblicher Trottel. Und ein Genie ist er sicher nicht. Genau wie der Regisseur – mein Gott, wie kann man denn bitte nur auf die Idee kommen, das Sterbelied, diesen letzten, einsamen und damit so berührenden, Moment posthum von einer Geister-Evita vortragen zu lassen?

Und müssen dann auch noch hinter mir Leute sitzen, die nicht nur mindestens drei Minuten brauchen, um die unglücklich gewählte Klingeltonmusik ihres Handys auszustellen, sondern auch noch ununterbrochen quatschen? Je lauter die Musik wurde, desto lauter mussten die Herrschaften natürlich auch werden, sonst hätten sie sich ja nicht mehr verstanden. „Coole Beleuchtung“, „Das ist die argentinische Fahne da hinter dem“ – „was?“ – „die argentinische Fahne!“, und, man glaubt es nicht, aber sie haben sogar „Peron, Peron, Peron“ und „Evita, Evita, Evita“ mit skandiert.

Ja, ja, dafür können weder der Regisseur, noch der Choreograph oder die Darsteller etwas. Aber irgendwie hat's gepasst.